Donnerstag, 14. Juli 2016

Sternchen. Mama. Hoffnung.

Heute gibt es mal etwas, worüber oft geschwiegen wird. Auch mir fällt es gerade sehr schwer überhaupt die richtigen Worte zu finden. Es kostet Überwindung. Aber vielleicht hilft es irgendjemanden. Vielleicht liest es irgendwer und schöpft Hoffnung. Hoffnung die man eben braucht.

Bevor wir planten ein Kind zu bekommen, habe ich nur ein Kind in meinem direkten Umfeld aufwachsen sehen. Meine Nichte. Heute geht sie schon in die erste Klasse und ich bin natürlich eine oberstolzer Tante. Als meine Schwägerin damals verkündete, sie sei schwanger, war die Freude riesig. Groß darüber gesprochen, wie schnell es geklappt hat, habe ich nicht. Macht man ja auch nicht. Dachte ich.
Natürlich gab es auch Freundinnen die schwanger wurden. Auch da habe ich mich mit gefreut, während der Schwangerschaft dann oft gefragt wie es geht, und tausend andere Fragen gestellt. Aber Fragen, wie es zur Schwangerschaft kam, wie leicht oder schwierig das war, das habe ich nie. Macht man ja auch nicht. Dachte ich.

Und dann versuchten wir ein Baby zu bekommen. Im März 2014 ging es los, ein knappes halbes Jahr nach unserer kirchlichen Trauung. Wir flogen Ende März noch in die Flitterwochen nach Thailand und hofften ein ein schönes Souvenir mitbringen zu dürfen. Ganz naiv ging ich davon aus, dass das ja einfach so klappen müsste. Wir brachten zwar kein Souvenir (zumindest nicht in meinem Bauch) mit, aber es dauerte nicht lange und im Mai 2014 hielt ich dann meinen aller ersten positiven Test in den Händen. Ich zitterte und freute mich und weinte und lachte. Soviele Wünsche, Träume und Möglichkeiten kamen damit zusammen. In diesem Moment sieht man es vor sich. Wie man dick und rund wird, wenn die Schwangerschaft zuende geht. Wie man sein Baby mit nachhause nimmt, nach der Entbindung aus dem Krankenhaus. Wie man es im Arm hält, wie es weint oder lacht. Wie man Mama gerufen wird. Wie es aufwächst. Man sieht all das. Man wünscht sich all das. 
Zunächst lief auch alles gut. Mir war morgens etwas übel und irgendwie gab es überall ein Zwicken und Zwacken, welches nur durch die Schwangerschaft kommen konnte. Ich war bei meiner Ärztin und auch sie sagte, alles sei in Ordnung. In der 8. Schwangerschaftswoche hatte ich dann wieder einen Termin und meine Ärztin war nicht mehr so fröhlich wie sonst. Wir warteten darauf endlich das schlagende Herzchen bestaunen zu dürfen - doch sie fand nichts. Man sah zwar den Beginn einer Schwangerschaft, aber man sah auch, dass es nicht zeitgerecht war. Dass da kein Baby in mir wachsen würde. Dass nichts in Ordnung war. Man sagte mir, wir sollten nochmal in ein paar Tagen reinkommen, denn manchmal würden auch Wunder geschehen, aber wir sollten uns keine Hoffnungen machen! Ja. Keine Hoffnungen. Keine Träume. Alles fiel in sich zusammen und ich kann mich auch nur noch schlecht daran erinnern, wie wir die Praxis verlassen haben. Ich glaube, mein Verstand hat da zugemacht. Es war einfach zuviel. Man ist doch so naiv und malt sich alles in bunten, schillernden Farben aus. Und dann kommt da jemand und mit seinen Worten zertrümmert er einfach alles, was du hast. Ich fühlte mich leer. In den Wochen davor hatte ich so oft meine Hand auf meinen Bauch gelegt. So oft mit diesem kleinen Etwas gesprochen. So viel geträumt. So viel gehofft. 
Wir warteten nochmal drei Tage und fuhren wieder in die Praxis nur um von einem sehr unsensiblen Arzt zu hören "Naja, dann gebe ich Ihnen also mal eine Überweisung für die Ausschabung."
Moment! Was? Es ist komisch und schwer zu beschreiben. Natürlich hatte ich einige Tage um mich mit dem Gedanken auseinander zusetzen. Natürlich hatte ich gewusst, dass es so kommen würde. Natürlich hätte es mir klar sein müssen. Aber nein. Man hofft. Ich habe gehofft. Bis zur letzten Sekunde. Und selbst mit der Überweisung ins Krankenhaus in der Tasche, weinend in den Armen meines Herzensmenschen im Auto in der Tiefgarage der Praxis - selbst da hoffte ich noch. Vielleicht schafft der Verstand diese winzigen Funken Hoffnung. Weil man sich daran klammern kann. Weil man nicht in den tiefen Abgrund fallen will. Weil man weiter machen kann.

Anfang August hatte ich dann die Ausschabung. In der Klinik waren alle furchtbar lieb und meine große Angst vor der OP war eigentlich nicht nötig. Ich war am gleichen Tag wieder zuhause und konnte mich in meinen eigenen vier Wänden, in meinem eigenen Bett erholen. Und mein Körper erholte sich überraschend schnell. Nur zwei Tage später war ich wieder im Alltag und funktionierte. Mein Herz allerdings war zerbrochen. 

Es gibt einige Momente, in denen ich meinen Mann zu schätzen wusste. In denen ich glücklich war ihn an meiner Seite zu haben, weil er meine Welt und den Moment schöner machte. In dieser Zeit jedoch war er der einzige Grund, der mich weitermachen lies. Ohne ihn hätte ich mit Sicherheit nicht die Kraft gehabt weiter zu machen. Überhaupt weiter auch nur da zu sein. Ohne ihn wäre ich verloren gewesen. Verloren in meinem Trauer, meiner Hoffnungslosigkeit, meiner Verzweiflung. Doch Schritt für Schritt konnte ich es mit seiner Hilfe verarbeiten, hinter mir lassen, weiter machen. 

Wir entschieden uns nicht zu warten und gleich einen neuen Versuch zu starten. Bei mir war ziemlich viel durcheinander, so dass es eine Weile dauerte, doch im November 2014 war es dann wieder soweit. Ich war überfällig und hielt dann wieder einen positiven Schwangerschaftstest in den Händen. Doch auch diesmal meinte es das Schicksal nicht gut mit uns. Nur eine Woche später wurde ich zum zweiten Mal eine Sternchenmama.

Rückblickend empfinde ich dieses zweite Mal als wesentlich weniger belastend. Mutternatur hat es einfach nicht gut mit mir gemeint. Es sollte so sein. Es war okay für mich. Natürlich hat es mich wieder runtergezogen und ich war furchtbar traurig. Dazu dann die große Angst, ob es wohl jemals klappen wird. Aber ich musste nicht ins Krankenhaus, nicht lange bangen und war eh irgendwie emotional noch nicht so ganz drinnen. Vielleicht hat mein Unterbewusstsein ja auch schon spüren können, dass was nicht in Ordnung ist und ich habe mich deswegen nicht drauf einlassen können.


Bis ich dann mit meinem Babybear schwanger war, hat es nochmal ein halbes Jahr gedauert. Irgendwie wusste ich dann auch gleich von Anfang an, dass dieses Mal alles gut gehen wird. Und das ist es ja zum Glück. Wenn ich heute meinen Julian ansehe, dann merke ich, dass ich es verarbeitet habe. Dass das einfach der Weg war, den ich gehen musste, um am Ende dieses Baby in meinen Armen zu halten. Ich will nicht sagen, dass es sich gelohnt hat, denn ein Kind zu verlieren, kann sich nie lohnen. Doch ich kann damit leben, dass ich zweimal dieses große Unglück erfahren musste. Dass ich dieses Unglück in Kauf nehmen musste, um dann Glück zu haben.

Wieso ich meine Sternchengeschichte nun veröffentliche? Weil ich finde, dass um dieses Thema ein zu großes Geheimnis gemacht wird. Mir war nicht klar wie "normal" das ist. Wie oft das passiert. Dass es eben nicht selten ist. Dass auch im medizinischen Sinne erst ab der dritten Fehlgeburt nach Ursachen geforscht wird. Dass soviele Frauen es erlebt haben, ohne darüber zu sprechen. Ich war mir so sicher, dass mir das nicht passieren würde. Wieso auch? Hört man doch nie was von! Ja. Das stimmt auch. Aber nicht, weil es niemanden im Umkreis passiert, sondern weil die wenigsten davon sprechen. Und das ist auch okay. Das sollte jeder für sich selbst entscheiden. 
Ich habe mich aber entschieden darüber zu sprechen. Um Frauen zu zeigen, dass es trotzdem ein Happyend geben kann. Um Mut zu machen. Und Hoffnung.

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